Lettura in tedesco con esercizi: Wolfgang Hildesheimers Tynset und die Schuldfrage
Destinatari: studenti di scuola secondaria di secondo grado, livello B2
Articolo gratuito in lingua tedesca con esercizi, per studenti di livello B2. Dedicato all'opera Tynset di Wolfgang Hildesheimer e al dibattito sulla Schuldfrage.
1963 fanden in Frankfurt am Main die Prozesse gegen die Täter von Ausschwitz statt.
Nachdem die Vergangenheit lange verdrängt(1) worden war und viele Täter ungestraft blieben und zum Teil gut leben konnten, begann man, die NS-Zeit aufzuarbeiten(2) und die Schuldigen zu bestrafen.
Bei den Frankfurter Prozessen bekamen viele Angeklagte(3) nur milde Strafen(4). Sie schützten(5) sich gegenseitig und betonten immer wieder, dass sie nur Befehle ausgeführt(6) hatten.
Die Prozesse stießen in der internationalen Öffentlichkeit und bei den Opfern(7) auf heftige(8) Kritik. Auch wenn die Strafen im Allgemeinen zu milde ausfielen, haben sie dafür gesorgt, dass die NS-Zeit wieder in die öffentliche Diskussion geriet.
Wolfgang Hildesheimer, geboren am 9.12.1916 in Hamburg, gestorben am 21.8.1991 in Poschiavo, war ein jüdischer Schriftsteller und Künstler und beschäftigte sich in seinen Werken mit der NS-Vergangenheit.
Von 1946 bis 1949 war er Simultandolmetscher(9) bei den Nürnberger Prozessen. In seinem 1965 veröffentlichten Werk Tynset, das zwei Jahre nach den Frankfurter Prozessen erschienen ist, greift er die Themen Verantwortung und Schuld auf und bezieht sich dabei auf die Holocaust-Prozesse.
Wolfgang Hildesheimer, geboren am 9.12.1916 in Hamburg, gestorben am 21.8.1991 in Poschiavo, war ein jüdischer Schriftsteller und Künstler und beschäftigte sich in seinen Werken mit der NS-Vergangenheit.
Tynset ist kein Roman, sagt Hildesheimer, kann aber nicht genau sagen, was das ist. Jedenfalls besteht das Werk aus einem langen Monolog, der sich aus vielen verschiedenen Reflexionen(10) des Erzählers zusammensetzt. Es sind Gedanken eines Schlaflosen(11), es sind Erinnerungen, Wünsche und Ängste, Assoziationen oder Geschichten von Menschen.
In diesem Werk finden sich verschiedene Leitmotive, das Hauptthema ist die Schuldfrage(12): Der Erzähler hat auf seinem Nachttisch ein Telefonbuch mit Namen, Adressen und Telefonnummern von Holocaust-Tätern. Nachts ruft er sie an und stellt ihnen Fragen, um ihr Gewissen(13) zu wecken.
Hildesheimer hat Deutschland 1957 zum zweiten Mal und für immer verlassen. Auf die Frage, warum er nicht in Deutschland lebe, antwortete er 1964: „Ich bin Jude. Zwei Drittel aller Deutschen sind Antisemiten. Sie waren es immer und werden es immer bleiben.“
Hier ein Auszug aus Tynset:
Ich sagte: „Sind Sie es also, Herr Huncke“, und er sagte nun, in einem Ton, als sei er plötzlich seiner Identität nicht mehr ganz so sicher: „Ja – warum?“ und als ich nach einer Antwort suchte, fragte er: „Was wollen Sie von mir?“ Ich hörte, wie hinter (…) Feindseligkeit(14) ein empfindliches Gewissen zu flattern begann, aber eine Antwort fiel mir nicht ein, was wollte ich von ihm? Ich wollte etwas von ihm wissen, ich war wach, war interessiert. Ich fragte, und zwar, wie mir schien, freundlich: „Fühlen Sie sich schuldig, Herr Huncke?“ Schließlich hätte jedermann mich das Gleiche fragen können, und ich hätte gesagt: „Nein“, auch dem Fremdesten hätte ich geantwortet: „Nein, ich nicht.“ Anders Huncke. Seine Stimme zitterte(15), als er nun sprach, seine Schuld war aufgerufen.
(von Caterina Rita Garrè)
Glossar
1 verdrängen: rimuovere, dimenticare
2 aufarbeiten: rielaborare
3 der/die Angeklagte, -n: imputato/a
4 die Strafe, -n: pena, punizione
5 sich schützen: proteggersi
6 Befehle ausführen: eseguire gli ordini
7 heftig: duro
8 das Opfer, -: vittima
9 der Simultandolmetscher, -: interprete simultaneo
10 die Reflexion, -en: la riflessione
11 der/die Schlaflose, -n: insonne
12 die Schuldfrage, -n: questione della colpa
13 das Gewissen: coscienza
14 Feindseligkeit: ostilità
15 zittern: tremare
NIVEAU B2
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